Blindheit ist einerseits Symbol der Unwissenheit und »Verblendung«, andererseits auch der Unparteilichkeit und des Ausgeliefertseins gegenüber dem Geschick, darüber hinaus auch der Verachtung der Außenwelt angesichts des »inneren Lichtes«. Aus diesem Grund wurden Propheten (Teiresias) und begnadete Dichter (Homer) in Altgriechenland blind dargestellt, wobei oft erwähnt wird, Blinde hätten den Göttern vorbehaltene Geheimnisse geschaut.
Im alten Rom wurde Amor (Cupido) oft mit verbundenen Augen dargestellt, als Sinnbild der alle Vernunft mißachtenden irdischen Liebe.
Wenn den Evangelien zufolge Jesus Blinde sehend machte, galt dies im Frühchristentum als Symbol der geistigen Erleuchtung durch die Heilslehre.
Isidorus von Sevilla (570-636 n. Chr.) faßte den Sündenfall der Stammeltern als blindmachende Verfinsterung der Welt auf, die erst durch das Erscheinen Christi aufgehoben worden sei. Demzufolge wurde im Mittelalter die »Synagoge«, Personifikation des Judentums, mit verbundenen Augen dargestellt, da sie das Licht des Heiles zu sehen ablehnte.
Mit verbundenen Augen wurde auch die Glücksgöttin Fortuna dargestellt, ebenso Justitita, die Verkörperung der Gerechtigkeit, die »ohne Ansehen der Person« Entscheidungen abwägt (Waage).
Beim Aufnahmeritual der Freimaurer spielt das Abnehmen der Augenbinde beim Eintritt in das »Licht« eine bedeutende Rolle als tiefempfundenes Sinnbild der Überwindung von Befangenheit im Nichtsehen höherer Werte. »Erst 1763 wurden in Hamburg die Augen der Suchenden verbunden. Goethe lehnte es ab, sich die Augen verbinden zu lassen, und versprach nur, sie während der Aufnahme nicht zu öffnen, was ihm bewilligt wurde« (Lennhoff-Posner).