»Die weiße Lilie mit Pracht und Herrlichkeit / viel Blumen übertrifft, doch währt sie kurze Zeit. / Also muß auch der Mensch vergehen und eralten, / wo ihn nicht Gottes Gnad und Auffsicht wird erhalten« (Hohberg 1675).
Die Lilie war schon vor der Formulierung ihres Symbolwertes hochgeschätzt und in Ägypten wie im minoischen Kreta sowie in Mykenä beliebtes Dekor-Kunstmotiv.
»Lilienhaft« (zart) wird die Stimme der Zikaden und der Musen in der antiken Dichtkunst Griechenlands genannt. Die Mythe läßt Lilien aus der Milch Heras entsprießen, die zur Erde tropfte, während auch die Milchstraße entstand. Die Liebesgöttin Aphrodite (Venus) haßte das unschuldsvoll-rein wirkende Gewächs und setzte ihr den Stempel ein, der an den Phallus (vgl. Lingam) eines Esels erinnert.
Dennoch wurde die Lilie im Christentum Symbol der reinen, jungfräulichen Liebe. Gabriel, der Verkündigungsengel, wird meist mit einer Lilie in der Hand dargestellt, ebenso der Nährvater Josef und die Eltern Mariae, Joachim und Anna.
Die »Lilien des Feldes«, die keine Arbeit leisten, aber in der Bergpredigt Jesu wegen ihrer Rolle des nie Fragen stellenden Gottvertrauens gepriesen werden, machten die Blume zum Attribut vieler Heiliger (u.a.: Antonius von Padua, Dominikus, Filippus Neri, Vinzenz Ferrer, Katharina von Siena, Philomena).
Wichtig ist das »Fleur de Lis«-Motiv in der Wappenkunst, denn die Lilien »seynd Königliche Blumen . . ., insonderheit weil die Lilien-Gestalt einen Scepter gleicht, oder weil die Schlangen vor den Lilien fliehen, die einen hertzerquickenden Geruch von sich geben« (Böckler 1688).
Eine Lilie soll dem Frankenkönig Chlodwig I. (481-511) durch einen Engel verliehen worden sein; sie schmückte seit 1179 das Wappen, der Könige von Frankreich. Durch Ludwig XI. gelangte sie in das Wappen der Medici und von dort in jene von Florenz und der Toskana. Die Bourbonen-Lilie unterscheidet sich von der Florentiner Lilie dadurch, daß diese Staubfäden aufweist.
In der Volkssymbolik ist die Lilie nicht nur Symbol der Reinheit - etwa bei kirchlichen Prozessionen -, sondern auch des »bleichen Todes«. In Volkssagen kündigt eine geheimnisvoll erscheinende Lilie den Tod eines Klosterbruders an (Corvey, Hildesheim, Breslau). Auch das Volkslied von den auf das Grab gepflanzten »drei Lilien« spielt auf die Todessymbolik an.