Herz. »Das Herz ist es, das jede Erkenntnis hervorkommen läßt«, und: »Das Handeln der Arme, das Gehen der Beine, das Bewegen aller Körperteile – es wird getan gemäß dem Befehl, der vom Herzen ersonnen ist.« So drücken altägyptische Texte die dem Herzen zugeschriebenen Funktionen aus, vorwiegend solche, die heute dem Gehirn zugeschrieben werden.
Als zentralem Kreislauforgan, das für die Aufrechterhaltung des Lebens unerläßlich ist und besondere Situationen durch auffälliges »Herzklopfen« signalisiert, wurden dem Herzen in vielen alten Kulturen Rollen zugeschrieben, die ihm bei rationaler Betrachtungsweise nicht zukommen. Freilich ist unsicher, was dabei bloß rhetorisches Bild und was wörtlich gemeint war.
Für den Ägypter der Pharaonenzeit war es Sitz des Verstandes, des Willens und der Gefühle. Der Schöpfergott Ptah hat den Kosmos zuerst in seinem Herzen geplant, ehe er ihm durch sein Wort Gestalt verlieh. Beim Totengericht wird das Herz des Verstorbenen gegen eine Feder (Symbol von Maat, der Gerechtigkeit) aufgewogen, um darzutun, daß es nicht durch Untaten schwer gemacht wurde; Herz wird hier symbolisch mit »Gewissen« gleichgesetzt.
In der Bibel ist das Herz der »innere Mensch«, denn während der Mensch auf die Augen schaut, blickt Gott auf das Herz (1. Samuelis 16, 7). Von Gott selbst wird gesagt, er »bekam Kummer in seinem Herzen« (Genesis 6, 6). Im Neuen Testament wird ausgesagt, daß durch den Glauben Christus im Herzen wohne (Epheser 3, 17).
In Indien ist das Herz vielfach Sitz des Atman, des Gegenbildes des Absoluten (Brahman) im Menschen.
Der Islam sieht das Herz in verschiedene Hüllen gebettet als physischen Sitz von Geistigkeit und Kontemplation.
Im aztekischen Imperium herrschte die Ansicht, die erdnahe Sonne hätte auf ihrer nächtlichen Reise durch die Unterwelt ihre Kraft verloren, wäre zum Skelett abgemagert und könnte nur durch Blut im Herzen von rituell geopferten Menschen neu gestärkt werden. Das Herz, yollotli, galt als Sitz von Leben und Seele. Verstorbenen wurde vor der Leichenverbrennung ein grüner Edelstein in den Mund gesteckt, der das Herz bedeuten sollte.
Vom hohen Mittelalter an wird das Herz in der Liebesdichtung (z.B. »Vom liebentbrannten Herzen« des René d'Anjou) romantisiert, in der Kunst bald naturfern stilisiert mit busenförmigem oberem Rand dargestellt und teils mit irdischer, teils mit mystisch-himmlischer Liebe in Verbindung gebracht (in diesem Falle als mystischer Altar, auf dem die durch das Feuer des Heiligen Geistes verzehrten fleischlichen Regungen verzehrt werden). Das von Pfeilen durchbohrte Herz ist Symbol des die Menschen liebenden, für sie leidenden Erlösers, wobei Visionen (Maria Margarete Alacoque, um 1647) die sich besonders im Barock verbreitete und in ländlichen Gegenden auch heute gepflegte Herz-Jesu-Verehrung bewirkten (Herz-Jesu-Fest, seit 1765 am Freitag oder Sonntag nach Fronleichnam gefeiert).
Das Herz Mariae wird entsprechend der Weissagung des greisen Simeon (»Auch deine Seele wird ein Schwert durchbohren«, Lukas 2, 35) mit einem oder mit sieben Schwertern durchbohrt dargestellt (Herz-Mariae- Fest, seit 1805 am Sonntag nach Mariae Himmelfahrt begangen).
»Ein fröhliches Herz macht das Gesicht heiter, Kummer im Herzen bedrückt das Gemüt. Das Herz des Verständigen sucht Erkenntnis...« (Sprüche Salomonis 15, 13 f.).
